„Jeder möchte sich doch ab und an mal besonders fühlen“
Seit dem 12. Februar läuft „Fifty Shades of Grey“ in den Kinos. Die Romanvorlage von E. L. James wurde weltweit zu einem Bestseller. Weniger wegen der literarischen Qualität, sondern wegen des Inhalts. Die Trilogie schildert die Beziehung zwischen der 21-jährigen Studentin Anastasia Steele und dem jungen Unternehmer und Milliardär Christian Grey, der ein Faible für BDSM-Praktiken („Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“) hat. Welche gesellschaftlichen Folgen James Werke haben, erzählt Dennis Marx, der seit kurzem in Trier eine Fetisch-Boutique betreibt.
16 VOR: Haben Sie „Fifty Shades of Grey“ gelesen?
Dennis Marx: Ja, allerdings erst kürzlich. Es wird nicht den Literatur-Nobelpreis gewinnen. Ich fand das Buch unterhaltsam, wenngleich mir die Sicht der unerfahrenen Studentin Ana Steele auf ihren Prinzen Mr. Grey oftmals zu romantisch überhöht erschien. Was mich freut ist, dass der überwältigende Erfolg des Buches zu mehr Kommunikation über und Akzeptanz für das Thema BDSM und Fetisch geführt hat. Es hat dazu beigetragen, diesem Thema das Stigma des Anrüchigen beziehungsweise sein „Schmuddel-Image“ zu nehmen. Ich erwarte auch, dass dies durch den Film und den medialen Tsunami, der seit Wochen auf uns zurollt, weiteren Schub erhalten wird. Den Film werde ich mir auch anschauen. Vor allem aus beruflichem Interesse, weil wir seit kurzem die offizielle Kollektion der Accessoires aus dem Film bei uns anbieten.
16 VOR: Haben Sie eine Erklärung für den Erfolg der Werke?
Marx: Gibt es eine Erklärung für den Erfolg eines Buches wie „Feuchtgebiete“? Oder warum Modern Talking so erfolgeich waren, obwohl niemand öffentlich zugegeben hätte, eine Platte von ihnen zu besitzen? „Fifty Shades“ ist das klassische Märchenschema, das lediglich in einen anderen Kontext und eine andere Zeit übertragen wurde. Mit diesem Schema können sich viele Menschen identifizieren. Obendrein bekommt die Story als reizvollen Zuckerguss noch eine Prise BDSM-Praktiken beigemischt, was die Sensationslust des Lesers/Zuschauers und den allzu menschlichen Spaß am Voyeurismus automatisch steigert – aber im Grunde war es das dann auch schon.
Ich glaube, die Autorin E. L. James hat mit dem Buch ganz bewusst eine Strömung aufgegriffen, die schon seit Langem existiert und die aktuell präsenter ist als je zuvor. Dabei spielen die unterschiedlichsten Faktoren eine Rolle: In den Medien und der Popkultur wird schon seit Jahrzehnten immer wieder mit Aspekten aus dem Fetisch- und SM-Bereich kokettiert. Mir fallen Madonnas Video zu „Justify My Love“ ein oder aktuell Rihanna mit „S&M“. Dies wird von den Medien dankend aufgegriffen, weil sich daraus gute Stories generieren lassen, die die Auflagen oder Zuschauerzahlen steigern. Aber auch in normalen High-Fashion-Magazinen sieht man heute Claudia Schiffer, Kate Moss, Madonna und andere als Model für Designer-Latex-Kleidung.
Auf den Laufstegen in Paris, Mailand und London greifen in den letzten Jahren renommierte Couture-Designer wie Jean-Paul Gaultier oder Thierry Mugler immer wieder gerade auf Latex zurück um ihren Kollektionen einen Hauch Extravaganz zu verleihen, denn das körperbetonte Material schmeichelt wirklich jeder Figur! Je mehr Kurven, desto besser!
In den Massenmedien wie BILD wird erklärt, wie man jemanden nach Art von „Shades of Grey“ fesselt. Das führt dazu, dass plötzlich ein Mainstream-Publikum mit dem Thema „Bondage“ in Berührung kommt. Gleichzeitig stehen die Menschen heute offener zu ihrer Sexualität und ihren Phantasien. Gerade Frauen gehen heute selbstbewusster mit ihren Phantasien um und sagen, was sie wollen und was nicht. Und wie kann man sein Selbstbewusstsein besser ausdrücken als durch modische Statements? Wie kann man seine Individualität besser betonen, als zum Beispiel mit einem außergewöhnlichen Kleidungsstück, seien es eine edle Korsage, sexy High Heels oder ein Rock aus Latex.
Für mich steht fest: Die Grenzen zwischen hochwertiger Fetisch-Bekleidung und dem, was wir heute als „normale“, straßentaugliche Kleidung ansehen, verschwimmen immer mehr. Und das ist gut so! Denn gerade die moderne Fetish-Fashion zielt schon lange nicht mehr auf eine kleine, elitäre Gruppe von Menschen ab oder ist für den düsteren Club bestimmt. Vielmehr beginnen die Leute heute die verschiedenen Stile zu mixen und bedienen sich Elementen, die früher klar einen „Fetisch“-Stempel hatten. Für sie werden Materialien wie Wetlook, Lack, Latex oder Leder nun langsam ein selbstverständlicher Teil ihrer Garderobe, der Ausdruck ihrer Persönlichkeit und eines modernen, selbstbewussten Lebensgefühls ist.
„Shades of Grey“ ist übrigens nicht die einzige Reihe, die sich mit dem Thema befasst. Es gibt mittlerweile unzählige erfolgreiche Bücher, die auf der „Shades of Grey“-Welle schwimmen, zum Beispiel „Crossfire“ von Sylvia Day oder „After Passion“ von Anna Todd – mit einer Milliarde Leser online der aktuell erfolgreichste Erotik-Roman aller Zeiten.
16 VOR: Glauben Sie, dass der Film Einfluss auf Ihren Umsatz haben wird, weil das Thema „Fetisch“ nun – zumindest für kurze Zeit – Mainstream werden könnte? Oder gehört das Publikum eher zu dem Kundenstamm greller Sex-Shop-Ketten?
Marx: Ich glaube nicht, dass es hier bei einem zeitlich begrenzten Phänomen durch den Film bleiben wird, denn wenn man sich wie ich seit Jahren damit beschäftigt, stellt man schnell fest, dass die Einflüsse aus dem Fetisch-Bereich in Richtung des Mainstreams in den letzten Jahren immer mehr zugenommen hat – auch schon vor „Fifty Shades“. Das Buch beziehungsweise der Film und die Diskussionen darum haben lediglich als Brandbeschleuniger fungiert um das Thema noch schneller in Richtung einer breiteren Öffentlichkeit zu tragen. Ich bin überzeugt davon, dass das Thema „Fetisch“ auch so seinen Weg finden und weiter wachsen wird. Wir werden jedenfalls alles dafür tun, um mehr Menschen dafür zu begeistern und ihnen die Scheu zu nehmen.
Das Publikum kann hier genauso wenig auf einen bestimmten Kundenstamm reduziert werden wie der Kundenstamm, an den man in Verbindung mit Sex-Shops denkt. Ich glaube, das man in beiden Fällen einen deckungsgleichen Querschnitt durch unsere Gesellschaft vorfinden würden.
Unser Konzept hebt sich jedoch sehr deutlich von gängigen Sex-Shop-Ketten ab. Wir begrüßen die Kunden in stilvollem Ambiente und konzentrieren den Großteil unseres Angebots auf hochwertige, handgefertigte Fetish-Kleidung und sogenannter Clubwear für Damen und Herren, edle Korsetts, sinnliche Dessous und High Heels. Die Bekleidung wird in aufwändiger Handarbeit und nur auf individuelle Bestellung in kleinen Ateliers in Deutschland, Frankreich, England und Holland gefertigt. Wir importieren nichts aus Ländern, in denen Menschen unter unwürdigen Bedigungen in Massenproduktion herstellen. Fair Trade ist uns hierbei wichtig, auch wenn es um die Verarbeitung tierischer Produkte wie unserer Leder Accessoires geht.
Wir bieten unseren Kunden auch eine Auswahl an erotischen Accessoires und Spielzeug an. Aber auch hier gibt es deutliche Unterschiede zu Sex-Shops. Mit dem massenhaften Angebot, das man dort findet, wollen wir nicht konkurrieren. Wir haben sehr ausgewählte Artikel und setzen prinzipiell auf Qualität statt Quantität.
Worauf wir ebenfalls großen Wert legen, ist die persönliche Beratung. Gerade sehr körperbetonte Kleidung, egal ob aus Latex, Lack oder Leder oder auch Korsetts, sollte immer anprobiert werden. Es macht wenig Sinn, solch hochwertige Sachen nach dem Zalando-Prinzip aus dem Internet zu bestellen. Und statt den tausendsten Online-Shop zu etablieren, konzentrieren wir uns entgegen gängiger Trends ganz traditionell auf die persönliche Beratung der Kunden vor Ort. Hier können wir ihnen unmittelbar die Scheu vor Materialien nehmen, vor denen sie vielleicht zuvor im wahrsten Sinne des Wortes Berührungsängste hatten und ihnen zeigen, wie großartig man sich in den Sachen fühlen kann und wie sie jeder individuellen Garderobe eine besondere Note verleihen können. Jeder möchte sich doch ab und an mal besonders fühlen.
16 VOR: Gibt es in der Fetish-Couture Trends bei Materialien oder ist es eine Geschmackssache, ob jemand lieber Latex, Lack oder Leder auf der Haut trägt?
Marx: Die Geschmäcker sind in der Tat so unterschiedlich und individuell, wie die einzelnen Kunden, die zu uns kommen. Oft entscheidet auch der Anlass. Geht man zu einem besonderen Event oder in einen Club? Sucht man etwas, um seiner Garderobe einfach mal eine Prise Extravaganz zu verleihen oder etwas, das sich zu einem klassischen Business-Outfit kombinieren lässt? Die Wünsche sind diesbezüglich extrem breit gefächert.
Dennoch kann man sagen, dass der Siegeszug von Wetlook-Materialien und Latex spürbar voranschreitet. Gerade Latexröcke und Latexleggings sind sehr gefragt. Das mag daran liegen, dass sich gerade Röcke und Leggings hervorragend mit vielen „normalen“ Kleidungsstücken kombinieren lassen. Latex hat zudem den angenehmen Vorteil, dass es die Figur deutlich mehr zur Geltung bringt und formt als Kleidung aus herkömmlichen Materialien. Außerdem ist es sehr angenehm auf der Haut zu tragen. Eine Latexleggings (oder auch Rock) macht jeden Po knackig und lässt eventuelle Problemzonen einfach verschwinden.
16 VOR: Boutiquen wie das „SECRETS“ findet man sonst nur in Metropolen. Sie leben – auch weil Ihr Geschäft am Rande der Fußgängerzone in der ersten Etage liegt – nicht von Laufkundschaft, oder?
Marx: Das stimmt, es gibt in Deutschland nur eine Handvoll Boutiquen, die ein ähnliches Angebot haben wie wir. Wir haben bisher tatsächlich wenig Laufkundschaft gehabt. Das liegt aber in der Natur der Sache: Leute, die sich zum Beispiel für Korsetts und extravagante Outfits interessieren, suchen sehr gezielt nach entsprechenden Geschäften und nehmen dafür auch eine weitere Anreise in Kauf. Daher profitieren wir auch von Trier als Tourismusziel, da ein nicht unerheblicher Teil unserer bisherigen Kundschaft aus allen Teilen Deutschlands, Luxemburg, Holland oder Frankreich kommt.
Ich wünsche mir natürlich mehr Laufkundschaft mit der Neugierde und Offenheit dafür, einmal ein Korsett oder ein Kleidungsstück aus Latex anzuprobieren. Diese Offenheit ist in Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München ganz normal und mittlerweile alltäglich. In Trier hinken wir da allerdings noch ein wenig hinterher. Ich hoffe aber, dass wir dazu beitragen, Vorbehalte und Berührungsängste gegenüber Kleidung und Accessoires aus außergewöhnlichen Materialien abzubauen.
Dennis M. Marx wurde 1975 in Hermeskeil geboren, wo er auch Abitur machte. Danach studierte er in Trier an der Euro Business School. Ab Ende der 90er arbeitete er zehn Jahre lang in München im Musikmanagement bei Sony Music mit vielen internationalen und nationalen Künstlern zusammen wie Whitney Houston, Christina Aguilera, Alicia Keys und Silbermond. 2008 wechselte Marx zu Sony Mobile, wo er unter anderem die Marke „XPERIA“ mitentwickelt hat. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin kehrte er wieder nach Trier zurück, wo er am 1. September 2014 im Margaretengässchen die Boutique „SECRETS“ eröffnete.