„Ein Foto zu machen, bedeutet immer noch Arbeit“
Harald Schmitt gehört zu den bedeutendsten deutschen Fotoreportern. Viele seiner Bilder wurden mit internationalen Preisen versehen, unter anderem mehrfach mit dem World Press Photo Award. Der gebürtige Mayener wuchs in Trier auf, wo er eine Fotografenausbildung absolvierte. Im Anschluss volontierte er bei der Trierischen Landeszeitung. Schmitt arbeitete zunächst für Agenturen, ehe er 1977 zum stern ging. Für das Wochenmagazin war er bis 1983 akkreditierter Fotograf in der DDR und den umliegenden sozialistischen Ländern. Bilder aus dieser Zeit sind ab 10. April in der Ausstellung „Sekunden, die Geschichte wurden“ in der Tufa zu sehen. Im Interview mit 16 VOR erzählt der 67-Jährige, was für ihn zu Trier-Besuchen dazugehört, was er an der DDR schätzte und was der wichtigste Rat seines Fotografenmeisters war.
16 VOR: Ihr Vater betrieb die „Toni Bar“ in der Nordallee. In die Gastronomie einzusteigen kam für Sie nie infrage?
Harald Schmitt: Nie. Ich trinke keinen Alkohol und gehe nur selten in Bars, fühle mich aber dort wie zu Hause. Es erinnert mich an früher. Mein Vater war ein weitgereister Mann, und er brachte mich, als ich noch ganz jung war, auf die Idee, Fotoreporter zu werden. Die Welt zu erleben und damit noch Geld zu verdienen, das klang verlockend.
16 VOR: In Trier absolvierten Sie eine Lehre zum Fotografen. Was war das Wichtigste, was Ihr Meister Ihnen mit auf den Weg gegeben hat?
Schmitt: Den Beruf erlernt habe ich im Fotogeschäft von Ferdinand Thoemmes im Margaretengässchen. Er hat gleich erkannt, dass ich für gestellte Brautbilder und zum Wegretuschieren von Falten ungeeignet war. Er war der Meinung, dass der stern die richtige Adresse für mich wäre. Ich hab den damals schon verschlungen, zusammen mit Kristall und Life. Der wichtigste Tipp? Wer ernstgenommen werden will, darf niemals mit schiefen Absätzen rumlaufen und man hat immer adäquat gekleidet zu sein. Eine Tugend, die heute, leider, nur noch wenige Kollegen beherrschen. Beim Bundespräsidenten im T-Shirt und runterhängenden Jeans aufzutauchen, wäre für mich undenkbar.
16 VOR: Bei der Trierischen Landeszeitung mussten Sie zumindest keine Hochzeits- und Passbilder mehr machen. Die Arbeit dort hat Sie trotzdem nicht erfüllt?
Schmitt: Doch, ich war ja noch so jung und musste viel dazulernen. Ein zusätzlicher Fotograf wurde damals bei der Zeitung nicht gebraucht, ich musste im Labor arbeiten und machte Vergrößerungen für den Fotografen Friedel Thörnig. Meine Bedingung damals war, dass ich selbst Fotos bei Veranstaltungen machen konnte – Taubenzüchter, kirchliche Veranstaltungen und so weiter. Das war selbstverständlich nichts für die Ewigkeit. Aus fast Nichts ein brauchbares Foto zu machen, ist nun mal nicht einfach. Ich hab großen Respekt vor oft sträflich unterschätzten Lokalredakteuren, die das täglich beweisen müssen.
16 VOR: Sie kehren nun mit einer Ausstellung zurück nach Trier. Warum haben Sie sich für Bilder aus „Sekunden, die Geschichte wurden“ entschieden und nicht für aktuellere?
Schmitt: Den Kontakt zu Trier habe ich nie verloren. Seit meine Eltern gestorben sind, wurden meine Besuche weniger. Meine Frau drängt mich immer wieder, hierher zu kommen. Eis essen bei Calchera – ein Muss. Das bürgerliche Restaurant „Christophel“ gibt es leider nicht mehr.
Diese Ausstellung zeigt Fotos zum Thema „Sozialismus“. Erstmals wurde sie im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt. Einer der Besucher damals war der in Luxemburg lebende Journalist Erwin Esly. Er war der Meinung, dass diese Bilder – schon wegen Karl Marx – in Trier gezeigt werden müssten. Herr Esly hat sich sehr für diese Ausstellung engagiert und sich mit Herrn Millen von Trier Tourismus und Marketing zusammengetan. Im Vorfeld bestand ein Kontakt mit dem Trierer Bundestagsabgeordneten Bernhard Kaster, der sich ebenfalls sehr dafür eingesetzt hat. Dann kamen die Fotografische Gesellschaft Trier und die Tuchfabrik ins Spiel.
16 VOR: Von 1977 bis 1983 arbeiteten Sie als Fotoreporter für den stern in Ost-Berlin. Waren Sie froh, wenn es wieder zurück in den Westen ging oder konnten Sie der DDR auch etwas abgewinnen?
Schmitt: Für mich war das die spannendste Zeit meines Lebens. Das Arbeiten war sehr schwierig. Ich habe den Beginn des späteren Umbruchs erlebt. Die Gründung der Friedensbewegung, Pastor Eppelmann, Verfolgungsjagden mit meinen Bewachern von der Stasi.1979 habe ich meine heutige Frau Annette im Märkischen Museum kennengelernt.
Ich lebte sehr gerne dort. Die Menschen waren offen, viel direkter und unverstellter als bei uns im Westen. Mein Arbeitsvisum wurde 1983 nicht mehr verlängert. Ich fand das schade.
16 VOR: Wie war im Zentralkomitee die Resonanz auf Ihre Bilder? Haben Sie mal mit Erich Honecker gesprochen?
Schmitt: Nicht über meine Fotos. Ich habe ihn ja nach Sambia und nach Japan begleitet. Einmal war ich zu einem Interviewtermin bei ihm. Er sagte: „Wie ich höre, haben Sie ja eine besondere Beziehung zu unserem Staat.“ Das war eine Anspielung auf meine, damals noch, Freundin Annette. Ich war froh über diese Bemerkung, so schwebte einen hochrangiger „Schutzengel“ über unserer Beziehung. Beruhigend in den damals unsicheren Zeiten. Der Sozialismus in Polen begann sich aufzulösen. Die Staatsmacht wurde nervös.
16 VOR: Sie haben ein Bild gemacht, auf dem Honecker dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt zum Abschied am Bahnhof ein Bonbon schenkt. Wissen Sie, ob Schmidt es auch gelutscht hat?
Schmitt: Nein, das weiß ich nicht. Die beiden standen sich gegenüber und wussten nicht mehr, was sie noch bis zur Abfahrt des Zuges sagen sollten. Ein peinlicher Moment. Honecker griff in seine Manteltasche, fand zufällig das Bonbon und hat es Helmut Schmidt zum Abschied geschenkt. Viel mehr ist bei dem Treffen auch nicht herausgekommen. Immerhin haben die Staatschefs miteinander gesprochen und sich kennengelernt. Für Honecker war es eine Aufwertung seiner Person. Damals war ganz Güstrow voller Stasimitarbeiter, Soldaten und Polizisten. Es musste unbedingt verhindert werden, dass es zu Sympathiekundgebungen für Schmidt kommt. Nicht so wie bei dem Besuch von Willy Brandt in Erfurt, wo die Stadt aus den Fugen geriet.
16 VOR: Sie waren 35 Jahre festangestellt beim stern. Waren Sie immer mit den Titelbildern, vor allem mit den Nacktaufnahmen, einverstanden?
Schmitt: Ich hab nichts gegen nackte Haut. Der Hintergrund ist ernster. Bei Umfragen unter den stern-Lesern wird oft nach Titelbildern und den Vorlieben zu bestimmten Themen gefragt. Die Mehrheit antwortet, dass sie sich für Umweltthemen besonders interessiere. Nur, haben wir sterbende Bäume auf dem Titel, kauft kaum einer das Heft. Bei den Mädchenfotos sieht das ganz anders aus. Mit seiner Selbsteinschätzung liegt der Leser oft daneben. Denken und Handeln müssen eben nicht identisch sein. Mit diesen Titelbildern das Heft zu verkaufen, das war der Trick. Im Blatt selbst haben wir dann die Umweltthemen, Kriege, Entlassungen, Nazis und so weiter abgehandelt. Clever, auch der Leser war zufrieden.
16 VOR: Womit haben Sie den stern damals überzeugt, Sie einzustellen?
Schmitt: Von 1972 bis 1977 arbeitete ich für die Fotoagentur Sven Simon in Bonn. Hinter dem Namen verbarg sich Axel Springer jun. – in Vielem ein Vorbild für mich. Er hatte sich mit seinem reichen Vater entzweit, der ihn enterben wollte. Axel jun. nannte sich deshalb Sven Simon und wollte eben nicht mehr Springer heißen. Später hat sich alles wieder eingerenkt. Jedenfalls habe ich in dieser Zeit öfter für den stern gearbeitet und schon mehrere Doppelseiten veröffentlicht. Als dann ein junger Fotograf für die Arbeit in der DDR gesucht wurde, hat der damalige Art Director und Chefredakteur Rolf Gillhausen bei mir angefragt. Ich hab ihn kaum ausreden lassen und gleich am Telefon zugesagt. Alle Fotografen wollten damals zum stern. Wir bildeten damals als Fotoreporter so eine Art Fußballnationalmannschaft.
16 VOR: Beruflich bereisten Sie über 120 Länder. Machen Sie auch im Urlaub Fotos? Wann haben Sie zuletzt zu Ihrer Frau gesagt: „Annette, stell dich doch mal dahin!“?
Schmitt: Ich kann sehr gut abschalten. Mache kaum Fotos im Urlaub, nehme immer nur eine kleine Kamera mit. Sonst fange ich an, nach Hintergrund und Vordergrund und Licht zu suchen.
Annette stellt sich ein paarmal in Pose. Eher selten. Wir reisen sehr viel, weil wir beide Spaß daran haben. Annette ist politsch sehr interessiert. In diesem Jahr fahren wir mit unserem Land Rover zu den Hinterhöfen Ost-Europas. Ins Baltikum, weiter nach Süden, Rumänien, Bulgarien bis Albanien. Das wird im nächsten Jahr eine Ausstellung in der Europäischen Rechtsakademie – ebenfalls wieder in Trier. Freue mich sehr darüber. Es ist wie nach Hause kommen.
16 VOR: In einem SWR-Interview vor einem knappen Jahr sagten Sie, dass Sie nur fotografierten, wenn Sie ein Thema hätten. Sie machen also keine Schnappschüsse mit der Handykamera?
Schmitt: Neiiiiin! Es ist so grauslig, mir tut der arme Chip leid, wenn ich sehe, was so alles fotografiert wird. Dieses Geknipse ohne Sinn und Verstand. Auch wenn es sehr altmodisch klingt: Ein Foto zu machen, bedeutet immer noch Arbeit. Das geht nicht mal hopplahopp. Über das Jahr lege ich mir immer die Fotos zur Seite, von denen ich glaube, sie hätten einen gewissen Wert. Das sind dann so etwa 20 Bilder. Dann frage ich mich, was wirklich über den Tag hinaus Bestand hat und komme nur auf drei oder vier. Höchstens.
16 VOR: Die Digitalisierung hat den Zugang zur Fotografie erheblich vereinfacht. Jeder, der eine Kamera richtig herum halten kann und bei Photoshop die Rote-Augen-Retusche findet, hält sich für einen Fotografen. Soziale Medien sorgen zudem für eine regelrechte Bilderflut. Wären Sie unter den heutigen Bedingungen auch Fotograf geworden?
Schmitt: Wäre ich, aber das Leben als Fotograf heute wäre viel härter. Es gibt mittlerweile sehr viele gute, auch junge Fotografen. Nur, die Redaktionen bezahlen immer schlechter. Die Zeit, die für die Erstellung von Geschichten zu Verfügung steht, wird immer kürzer, die Moral der Verlagshäuser lässt zu wünschen übrig. Ob ich das nochmals machen würde? Fotoreporter, so einer, der mit Leib und Seele bei der Sache ist, das wird man nicht nur mal so. Das ist kein Job, es ist eine Lebenseinstellung. Etwa 80 Prozent meiner Tätigkeit in über 40 Jahren habe ich nicht als Arbeit empfunden, sondern als Freude.