Knutschende Fische
„Muss es unbedingt ein Sportverein sein?“, beklage ich mich beim Backes Herrmann. „Gibt’s nichts Bewegungsärmeres, zum Beispiel einen Einträchtig-in-der-Weinstube-Rumsitzen e.V.?“ „Ich glaube, da hab ich was für Dich“, meint Herrmann. „Kaninchenzuchtverein?“ „Viel besser! Komm mit!“
Wenig später entsteigen wir in Kürenz der Linie 3, Haltestelle Kolonnenweg, und überqueren die Straße. Vor uns ein Schild mit zwei kreisrunden knutschenden Fischen drauf, einer rot, einer grün, und der Ankündigung: „Heute: Aquaristikbörse“. Wir betreten das Vereinsgelände der Aquaristik-Ichthyologen. Keine Bange, das ist nichts Unanständiges. Vielmehr kommen uns auf dem Weg zum Vereinshaus freudenstrahlende Kinder entgegen, die wassergefüllte Plastikbeutel tragen. Mit bunten, kronkorkengroßen Fischen drin.
Im Gegensatz zu den Kindern gucken die Fische bedröppelt drein, wahrscheinlich, weil sie zum ersten Mal Kürenz im Freien sehen und lieber wieder zurück ins Vereinsheim wollen. Über die Vereinsanlage (bis 1976 noch staatliche Fischzuchtanlage) sollte die Leuchtenberger in „Kennen Sie Trier?“ mal schreiben: eine verwunschene Wildnis mit Weihern und Zuchtbecken, die vom Avelerbach gespeist werden.
Im Vereinshaus stoßen wir auf eine Vielzahl großer und kleiner Aquarien und auf eine beeindruckende Theke im 70er-Jahre-Hobbykeller-Stil. Günther, der Vereinsvorsitzende, fragt, was wir trinken wollen: „Wein, Bier oder…“ – „Bier!“ – „Bitburger, Löwenbräu, Weizen, alkoholfrei…?“
„Das ist mal ein Verein!“, lobt der Herrmann. „Die haben mehr Alkohol- als Fischsorten.“ Aber da irrt er. Wir mischen uns unters Zierfischzüchtervolk und entdecken in deren Becken Segelflosser, Hexenwelse, Schwertträger, Beulenkopffische … was das Herz begehrt.
Zierfische werden getauscht und begutachtet, ge- und verkauft. Kinder wie Erwachsene laufen mit Wasserbeuteln herum und mit Zetteln, auf denen Fischsorten und Zahlen draufstehen: Vier Segelflosser: zwölf Euro. Es geht zu, wie auf einer echten Börse bevor es den Computerhandel gab. Seinen Zettel bringt man zu Elke, der Kassiererin, die den Deal offiziell macht. Den Herrmann lasse ich einfach stehen, als er laut fragt, ob man hier auch Fischrezepte tauschen kann: „Hat jemand ‘nen Tipp, wie man die lustigen Bunten da am besten zubereitet?“
Ich entdecke ein Aquarium, in dem sich Albinogeschöpfe mit blutroten, buschigen Kiemen auf vier Beinen gemächlich durchs Wasser bewegen. „Was ist das denn?“, frage ich die Jungs, die sich an der Aquariumsscheibe die Nase plattdrücken. „Axolotl“, antworten die beiden, mit unüberhörbarem Hast-du-denn-gar-keine-Ahnung?-Unterton. „Das sind gar keine Fische“, ruft jemand aus dem Hintergrund und provoziert damit Elke, die Axolotl-Züchterin, die prompt ihre Kasse verlässt, um in einer munteren Runde die Frage zu erörtern: Sind Axolotl hässlich? Und wie heißen die eigentlich in der Mehrzahl? (auch Axolotl!). Herrmann kommt hinzu und interessiert sich tatsächlich nur für die Frage: Kann man Axolotl essen, und falls ja, wie viele braucht man für ein Abendessen?
Dann zeigt uns Manfred seine Lebendgebärenden. Also die Schwertträgerfische. Die gebären nicht jetzt, während der Börse, lebend, sondern tun dies im Allgemeinen. Manfred verkauft seine selbstgezüchteten roten Schwertträger für 3,50 das Stück. Wenn er sie kriegt. Das Becken ist zwar voller roter Fische, aber als Manfred das Netz zückt, geraten sie alle in Mist!-der-Manni-kommt-Panik und weichen wimmelnd dem Kescher aus. Doch Manni bleibt cool, und alle 30 Sekunden füttert er einen erwartungsvoll bereitgehaltenen Wasserplastikbeutel mit einem Schwertträger und macht so ein Kind zum Schwerträger.
„Wenn du Schwertträger aus asiatischer Großzucht im Geschäft kaufst, kriegste die schon für zwei Euro“, erklärt Manfred, „aber die halten nicht lange. Meine dagegen stehen auch noch nach fünf Jahren!“ Ich lerne: Zierfische schwimmen nicht, die stehen im Aquarium. Und zwar besonders lange die von Manfred und weiteren 50 Vereinsmitgliedern. Diesen Aquarianern kommt es nicht drauf an, wer den Größten hat, sondern, welcher am längsten steht. Hm, das klingt anders, als es ursprünglich rüberkommen sollte. Jedenfalls sehen die Fische unserer Aquarianer gesund und lebendig aus. Wenn irgendwo alle Zierfische kieloben treiben, ein letzter Kiemenatmer aber meldet: „Last Fish Standing!“, dann ist’s bestimmt einer aus Kürenz.
Ich komme mit zwei Jugendlichen ins Gespräch, die vorm vereinseigenen Ostafrika-Aquarium die Tombolapreise vergeben. Ich entscheide mich dagegen, ein Los zu kaufen, weil man ausschließlich Aquariumszubehör gewinnen kann, und ich wüsste nicht, wohin mit Unterwasserpflanzen („Vielleicht als Beilage…“, meint Herrmann). Zierfischfreunde holen sich mit so begeisterten Ooohs und Aaahs ihre Fischfuttergewinne oder Aquariumsreinigungsmittel ab, als hätten sie gerade eine dreiwöchige Bermuda-Reise gewonnen. Günther berichtet: „Neulich bei der Tombola der Aquaristik-Verbandsbörse konnte man auch Dosenfisch in Tomatensoße gewinnen!“ Humor haben die Aquarianer, soviel steht fest.
„Was macht man eigentlich so als Aquarianer,“ frage ich den Vorsitzenden, „was trainiert ihr denn, dienstagabends beim Vereinstreffen?“ Ich erfahre, dass man sich in Züchtungsfragen austauscht, gemeinsam die vereinseigenen Becken und Aquarien pflegt, Fahrten zu befreundeten Vereinen (bis Berlin!) und anderen Aquaristikbörsen werden organisiert; aber es gibt auch Aquariumsführungen für Kindergarten- und Grundschulkinder. Das macht seit Jahren, kompetent und unterhaltsam, der Herbert, und die Führungen sind äußerst beliebt bei Lehrern und Schülern.
Außerdem bietet der Verein Hilfe an, wenn jemand ein Aquarium neu anlegen oder eins auflösen will. Und die Aquarianer sehen es als ihre Aufgabe, Fischen, die ansonsten „entsorgt“ würden, das Gnadenbrot zu geben. Junge Welpen kann man ja in der Hoffnung, jemand möge sich ihrer erbarmen, an Raststätten aussetzten. Aber Fische? Derer entledigen sich manche überdrüssige Besitzer tatsächlich durch die Klospülung. „Dann ist es besser, wenn die Fische bei uns abgeben werden!“, sagt Günter, und ergänzt: „Manch Unbedarfter kauft sich im Geschäft einen 10-Zentimeter-Fisch für ein winziges Aquarium, und irgendwann wird der Fisch so groß, dass der Besitzer ihn alle halbe Stunde im Aquarium umdrehen muss, damit er wieder 20 Zentimeter geradeausschwimmen kann! Bei uns kriegen die dann ein neues Zuhause. Die Fische, nicht die Besitzer.“
Abschließend wird das Gerücht entkräftet, dass Aquarianer gelegentlich mit ihren Fischen reden: „Das hatten wir zwar auch schon“, gesteht Herbert, „ist aber eher die Ausnahme.“ Da hören wir, wie jemand zu den Guramis, den küssenden Fischen, sagt: „Na, wie isses, wollt ihr mitkommen, mit dem Herrmann?“
Als wir nach zwei äußerst kurzweiligen Stunden vors Vereinshaus treten, hält Herrmann einen wassergefüllten Plastikbeutel in der Hand. Mit zwei knutschenden Guramis drin. Sie sind fast so schön wie die auf dem Vereinslogo. „Wofür brauchst du die denn?“ „Für Sushi“, sagt Herrmann und grinst, als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sieht. „Nein, Quatsch, meine Neue hat ‘nen Sohn, der ist sieben und hat ein Aquarium. Dem schenke ich die beiden küssenden Guramis. Das kommt sicher auch bei der Mutter gut an.“ Er ist doch ein Romantiker, der Herrmann.