Luxemburger Traditionen

Auf dem „Knuedler“, dem zentralen Platz in Luxemburg-Stadt, grüßt ein Reiterstandbild des Königs und Großherzogs Wilhelm II. von Oranien-Nassau vorbeischlendernde Touristen und Einheimische gleichermaßen. Es verbreitet mit seinem massiven Sockel und der sehr klassisch gearbeiteten Pferd-Reiter-Hut-und-Säbel-Pose ebenso repräsentative wie staubige Nationalstaatssymbolik.

Etwas abseits – aber in Sichtweite zu Wilhelm II. – steht das „Fiisschen“, das Füchschen also, und beobachtet den monarchischen Pomp augenscheinlich mit einiger Ironie. Dem Fuchs wurde ein sehr viel unauffälligeres Denkmal gebaut – eines, das an Michel Rodange, den republikanischen Autor des Nationalepos „Renert“, erinnert und das dessen Fuchs zum heimlichen Wappentier eher monarchieskeptischer Luxemburger macht. Am Knuedler stehen sich also in gewisser Hinsicht Monarchie und Republik direkt gegenüber. Aber nicht nur das: Da Wilhelm II. ein begeisterter Jäger gewesen sein soll, steht zu vermuten, dass auch der Fuchs von ihm nicht verschont geblieben ist: Am Knuedler trifft also auch der Jäger auf seine Beute.

Und so kam der grüne Staatssekretär Camille Gira vielleicht beim morgendlichen Gang über den „Knuedler“ auf die Idee, wie er den bislang vollkommen unauffällig vor sich hin regierenden „Greng“ (Grünen) in der sozial-liberal-grünen Koalition etwas mehr Farbe verpassen könnte. Der Fuchs, so dachte er wohl, solle nicht länger von Wilhelm bedroht und vom halben Ösling gejagt werden, sondern sich unbedroht vermehrend fröhlich von der Republik und dem Glück des Eierdiebstahls künden. Camille Gira verbot also kurzerhand die Fuchsjagd im Großherzogtum, und zwar pünktlich zu Ostern.

Seit dem Verbotsbeschluss vergeht in Luxemburg kein Tag, an dem nicht aus dem Ösling der Ruf nach dem Sturm auf die grüne Hochburg in der Stadt erklingt. Demonstrationen und Mahnwachen wurden veranstaltet, der Fuchsbandwurm und die Tollwut beschworen, Artikel und Leserbriefe im Wort lanciert und eine Petition zum Erhalt der „luxemburgischen Tradition“ der Fuchsjagd ins Parlament eingebracht. Gebracht hat es bislang nichts: Der Fuchs hat Schonzeit in Luxemburg. Zumindest so lange, bis der „Renert“ zu viele Hasen gerissen hat. Vielleicht endet der kurze Sommer der monarchisch-republikanischen Waffengleichheit auf dem Knuedler also schon wieder zum nächsten Osterfest mit einer schönen Treibjagd.

Im Angesicht dieses aktiven „Traditionsabbaus“ werden andernorts im Ländchen bereits neue Traditionen angelegt: So wurde Ende März unter dem Motto „Lëtzebuerg pisst zesummen“ zum ersten Luxemburger „Pissblummen“-Fest auf die „Kockelscheier“ geladen. Der Organisator, der Caritas-Mitarbeiter Paul Galles, beschwört den gemeinschaftsbildenden Charakter der zu institutionalisierenden Veranstaltung und versichert: „Pissen verbënt d’Mënschen“ (so ungefähr: „Urinieren verbindet Menschen“). Man wolle mit dem Fest auch Auswärtigen ein „Stück luxemburger Kultur“ näherbringen.

Nun weiß man natürlich spätestens seit dem Bestseller von Carmen Thomas, dass Urin ein „ganz besonderer Saft“ sein soll, erinnert sich schaudernd, aber auch ein bisschen fasziniert an Großmutters Rezepte zur Warzenbehandlung, und hat spätestens seit der Geburt des zweiten Kindes ein relativ abgeklärtes Verhältnis zu Urin an Orten, an denen es nicht hingehört. Aber auf die Idee, das simple Harnlassen zu einem „Kulturgut“ zu verklären, ist man bislang noch nicht gekommen.

Da der Luxemburgisch-Wortschatz des typischen deutschen Grenzpendlers bekanntermaßen nur aus „Moien“, „Äddi“, „Merci“ und „Neen, ech hon keen Clients-Kaart!“ besteht, bringt erst eine kleine Internetrecherche etwas Klarheit und – nun ja – Erleichterung: Pusteblumen werden in Luxemburg auch „Pissblummen“ genannt und haben (bei Verzehr) offenbar harntreibende Wirkung. Die Caritasler feiern also den Löwenzahn und dessen durchschlagende Wirkung auf das menschliche Untenrum. Warum sie das tun, wird wohl auf ewig ihr Geheimnis bleiben. Vielleicht könnten aber der grüne Staatssekretär und seine fuchsjagenden Gegenspieler aus dem Ösling ihr Kriegsbeil in einer tüchtigen Portion Löwenzahnsalat vergraben und anschließend die angeblich verbindende Wirkung gemeinschaftlichen Wasserlassens auf die (Urin-)Probe stellen.

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