Mehr als ein Doppelpass
Seit Dezember trainiert der Trierer Henri Major eine Gruppe fußballbegeisterter Flüchtlinge. Am Sonntag um 16.30 Uhr treten die Männer, die aus Nordafrika, dem Balkan oder Syrien stammen, in Feyen gegen die FSG Ehrang IV an. Selbstverständlich will die Mannschaft gewinnen, der Siegeswille gehört zu jedem Spiel. Doch zu ihrem Spiel gehört auch, dass es Wichtigeres gibt als die 90 Minuten auf dem Platz.
TRIER. Asche ist furchtbar, sie reißt die Knie auf und die Waden, sie frisst sich in die Haut. Asche ist fruchtbar, auf ihr verwandelt sich Wunsch in Willen, Wille in Wirklichkeit. „Uns geht es nicht um Zauberfußball“, sagt Henri Major über die Spieler seiner Mannschaft. Etwas für die Gesundheit tun, Ablenkung schaffen, Zusammenhalt finden – das will er allen voran mit dem Training erreichen. Das sind die Gründe, wieso die Männer zwischen 18 und 35 Jahren, die vor einigen Wochen oder Monaten aus Nordafrika, dem Balkan oder Syrien nach Deutschland geflüchtet sind, nun zwei Mal wöchentlich in Euren über den Hartplatz sprinten.
Auf Disziplin lege er wert, betont Major. In Gruppen lässt der 24-Jährige die Männer an Hütchen entlanghetzten – rot, weiß, zurück zu rot –, sie üben Pässe auch mit dem schwachen Fuß und die Ballannahme mit der Brust. „Es geht nicht darum, den Ball in die Mitte zu werfen und draufzudreschen.“ Dass eben nicht nur alle laufen, sondern alles irgendwie zusammenläuft, das ist ihm wichtig. Was er über das Schicksal der Spieler weiß? Schweigen. Manchmal deuteten sie an, wie schwer ihr Weg nach Deutschland war, während sie gemeinsam durch den dämmernden Abend zum Trainingsplatz nach Euren joggen. Dass sie Familienmitglieder verloren hätten noch in der Heimat oder auf der Flucht. Knapp zwei Kilometer sind es von der Außenstelle der Aufnahmeeinrichtung bis zum Hartplatz – das reicht nicht aus, um ein Leben zu erzählen. „Was ich sicher weiß: Sie kommen aus Umständen, die erschrecken“, sagt Major. Natürlich sei es auch für ihn fordernd, eine Gruppe Männer zu trainieren, die in der Vergangenheit so viel verloren haben, dass sie jetzt gerade nicht viel mehr zu gewinnen haben als das nächste Spiel.
„Es gibt nichts Internationaleres als Fußball und nichts Deutscheres als Vereine“, sagt Major. Und obwohl die Sprache des Fußballs über Ländergrenzen hinweg gilt, ist die Kommunikation ohne Frage eine Hürde. Ein taktisches Training, Strategiespiel – das müsse man mit mehr erklären als mit Händen und Füßen. Die Spieler verstünden sich untereinander nur bedingt, wenn also ein Gemisch aus englischen und arabischen Wortfetzen über den Platz jagt, sind Missverständnisse programmiert. Wenn die Mitspieler um jeden Pass rennen, blind rennen, irgendwann in einen Konter. Der Torschütze im Abseits, ungesehen. Ein fieses Foul, ungeahndet. Und man selbst ist die Sprache los. Echte Wut. „Das Gute ist: Auch die Verständigung wird von Mal zu Mal besser“, erzählt Major.
Erfolg ist das Ergebnis emsiger Arbeit, heißt es. Seit Dezember steht er bei etwas über null Grad am Spielfeldrand, fuchtelt mit den Armen, haut sich mit der Hand gegen die Stirn und schwitzt. Es ist auch seine Geschichte, die sich da abspielt, 90 Minuten lang. Geboren in Kriwoi Rog, Ukraine, kam er über Russland nach Trier. Spätaussiedlerheim. Deutsch sprach er nur in Brocken, Freunde hatte er keine, er konnte zunächst nur Fußball. Was nicht viel ist und umso mehr sein kann. Es reichte, um beim SV Ruwer aufgenommen zu werden. „Die Mannschaft hat mir bei der Integration sehr geholfen.“ Mit jedem Training kamen ein erweiterter Wortschatz, eine Verabredung am Nachmittag. Heute studiert Major in Trier, nach der Uni coacht er als Spielertrainer die vierte Mannschaft der FSG Ehrang. Dass er zusagte, als die Caritas ihn fragte, ob er abwechselnd mit einem Bekannten die Flüchtlingsmannschaft trainieren wolle? Ehrensache. Fußball, das ist ein soziales Netz, das mit jedem Doppelpass enger gewoben wird. Echte Liebe.
„Den Männern tut der Sport gut, um sich abzulenken“, sagt Major am Telefon. Beim Kicken könnten sie sich abreagieren, wenn Sorgen aufkochten oder sie die Traurigkeit übermannt. Nach dem Training, das mit Geldern aus dem Flüchtlingsfonds des Bistums Trier ermöglicht wird, schienen die Männer immerhin kurz befreit. Am Sonntag können die Flüchtlinge nun zum ersten Mal unter Beweis stellen, wie effektiv die Sprintübungen und das Passspiel waren und – allen voran – wie gut sie als Team funktionieren. Dann spielt die Mannschaft auf der Bezirkssportanlage in Feyen gegen die FSG Ehrang IV. Anstoß der Partie ist um 16.30 Uhr, über viele Zuschauer freuen sich beide Mannschaften. Beim „Kick-Off für Toleranz“ stehen auch der Vizepräsidenten des Fußballverbandes Rheinland, Alois Reichert, und die Bundestagsabgeordnete Katarina Barley am Spielfeldrand.