„Es war nötig, gut und richtig!“
16 VOR war wenige Wochen online, da erschien ein neues Buch über die Geschichte der ältesten Stadt Deutschlands: „Trier wurde vermutlich im Jahre 17 v. Chr.“ gegründet, schrieben die Autoren. Stand am Anfang des damals noch neuen Trierer Stadtmagazins ein Recherchefehler? Fakt ist: Heute vor 16 Jahren startete 16 VOR. Anlass für die beiden Macher Christian Jöricke und Marcus Stölb, gemeinsam zurückzublicken. An welche Geschichten erinnern sie sich gerne und welche hätten sie besser nie geschrieben? Wie war das Verhältnis zum Trierischen Volksfreund und was würden sie heute anders machen? Ein Gespräch über Shitstorms und Käsekuchen, missglückte Formulierungen und missverstandene Porträts, und einen Aprilscherz, der es in die Süddeutsche schaffte.
Wenn du auf die Zeit von und mit 16 VOR zurückblickst – welche Erinnerungen und Erfahrungen verbindest du vor allem mit diesem Projekt?
Marcus Stölb: Es war unheimlich toll zu erleben, welche Resonanz wir mit unserem Ansatz, lokalen Qualitätsjournalismus zu bieten, erzielen konnten. Und es gehört für mich bis heute zu den schönsten Erfahrungen überhaupt, zu beobachten, was aus einigen unserer damaligen Mitstreiterinnen und Mitstreitern geworden ist. Wir hatten das Riesenglück, viele junge Menschen mit journalistischem Talent und einer großen Portion Idealismus und Leidenschaft an unserer Seite zu haben.
Christian Jöricke: Als journalistisch tätiger Mensch ist es vielleicht das Größte, sein eigenes Medium zu haben. Man hat zwar viel Verantwortung für sein Tun, aber auch viele Freiheiten. So kann man sich die Themen aussuchen, auf die man am meisten Lust hat oder die einen besonders interessieren. Die gemeinsame Redaktionsleitung mit Marcus war ideal – nicht nur, weil wir uns bestens verstanden haben, sondern weil wir völlig unterschiedliche Interessen und Qualitäten haben. So hat keiner dem anderen viel hereingeredet. Es hat lange gedauert, bis man einigermaßen von den Einnahmen leben konnte, aber bei mir hat der Idealismus, die – sogar überregionale – Resonanz und der Spaß am eigenen Medium bis zum Schluss für ausreichend Motivation gesorgt. Sehr gerne denke ich auch an unsere wöchentliche Themenplanung im Café Momo zurück. Dabei müssen hunderte Stücke Kuchen verzehrt worden sein.
Marcus: Das stimmt, an Sinas veganen Käsekuchen denke ich auch gerne zurück. Und in der Tat: Wir waren ein Dreamteam, gerade weil du und ich so unterschiedlich waren und sind. Ohne dich hätte ich auch nicht so lange durchgehalten! Immerhin waren es bei mir am Ende sieben Jahre.
Auf welche Geschichten bist du heute noch stolz und erinnerst du dich gerne zurück?
Christian: Ich freue mich, wenn Formulierungen besonders schön geraten und ein insgesamt runder Text entsteht. Stolz bin ich auf Interviews mit interessanten Menschen und gelungene Rezensionen. Als Erstes kommt mir die Konzertkritik „Zerfall eines Denkmals“ über James Last in den Sinn – ein früher Artikel auf 16 VOR im Jahr 2007. Es gab weit über 100 Leserbriefe dazu, in denen mich Fans beschimpften und zum Teil meinten, ich solle nicht über Künstler schreiben, wenn ich nicht deren Anhänger sei. Ein bemerkenswertes Journalismusverständnis. Zudem erkannte keiner von ihnen, dass ich ihr Idol für sein früheres Schaffen sehr lobte, und lediglich bedauerte, dass es seinen Zenit überschritten hatte. In Erinnerung geblieben ist auch die Berichterstattung über Antenne West, über deren finanzielle Schieflage wir als Erstes berichteten. Investigativer Journalismus ist nicht meine Stärke, aber an den Informationen in den Beiträgen gab es nichts zu rütteln. Auch eine einstweilige Verfügung und persönliche Beleidigungen des damaligen Verantwortlichen konnten weitere Artikel nicht verhindern.
Marcus: An eine Geschichte denke ich besonders gerne zurück: „Habemus Stephan: Ackermann wird Bischof“. Wir hatten das quasi weltexklusiv, nicht einmal der seinerzeitige Sprecher des Bistums hatte vor mir Kenntnis von dieser ja doch wichtigen Personalie, wie ich im Nachhinein erfuhr. Viele haben mich gefragt, woher ich vorab die Erstinfo hatte. Nur soviel: Ich bekam am Vorabend der Verkündung eine SMS aus einem außereuropäischen Land, also nicht aus dem Vatikan. Eine Exklusiv-Story, auf die ich lieber verzichtet hätte, war der erstmalige Antritt der NPD bei einer Trierer Stadtratswahl. Deutlich lustiger waren da schon die Spätfolgen meines Aprilscherzes 2013: Ich hatte geschrieben, Bischof Ackermann eifere dem neuen Papst in Sachen Bescheidenheit nach und ziehe vom Bischofspalais in den Glockenturm von St. Gangolf. Gut sechs Monate später berichtete die Süddeutsche Zeitung in ihrer Online-Ausgabe über den angeblichen Umzug. Ich habe aber die SZ-Redaktion direkt darüber informiert, dass sie bei ihrer oberflächlichen Internet-Recherche einem Aprilscherz aufgesessen war. So wurde die Fake-News zumindest nie gedruckt!
Gibt es Berichte, von denen du heute sagen würdest, dass sie keine journalistischen Glanzleistungen waren oder die du vielleicht sogar bereust?
Marcus: Irgendwer hat einmal gesagt, dass Journalisten Menschen sind, die hinterher schon immer vorher alles besser gewusst haben wollen. Da ist was dran, sozusagen eine Berufskrankheit. Was ich selbstkritisch sagen muss: Ich war nie naiv und mir war immer bewusst, dass man als Journalist stets Gefahr läuft, instrumentalisiert zu werden; dennoch war meine Berichterstattung hin und wieder zu sehr von persönlichen Sympathien gesteuert und lag ich mit meiner Einschätzung, etwa was die Fähigkeit von Bewerbern für hohe Ämter anbelangt, grandios daneben. Mein Anspruch war es immer, bei der Sache zu bleiben und auch den Menschen, die ich sehr kritisch sah, fair zu begegnen. Ich denke, das ist mir meist gelungen. Aber ich machte auch die Erfahrung, dass manche Formulierungen vollkommen missverstanden wurden. Als ich in einem Porträt über den damaligen CDU-Landtagsabgeordneten schrieb, dass dessen Herz vor allem für seine Wurstküche schlage, kam das bei ihm und seinen Parteifreunden denkbar schlecht an und wurde mir als Herablassung ausgelegt. Dabei war es absolut wertschätzend gemeint, sozusagen von Bäckersohn an Metzgermeister.
Christian: Auf Anhieb fällt mir ein Artikel über einen unkonventionellen Trierer Catering-Service ein, der allerdings bei den Kollegen von hunderttausend.de erschien. Darin benutzte ich die Formulierung „verantwortlich zeichnen“ mit Reflexivpronomen. Dafür könnte ich heute noch im Boden versinken. Gewiss würde ich einige Artikel heute anders schreiben, aber erstaunlich viele lesen sich immer noch ganz okay.
16 VOR war seinerzeit angetreten, eine Alternative zu den damals bereits etablierten Medien, allen voran den Trierischen Volksfreund zu bieten. Wie stark war eure Arbeit von diesem Konkurrenzdenken geprägt und wie nahmt ihr den Wettbewerb damals war?
Christian: Wenn die Geschäftsleitung oder die Chefredaktion des Volksfreunds klug gewesen wäre, hätte sie Marcus gleich zu Beginn für viel Geld abgeworben. In dessen Lokalredaktion konnte ihm nicht nur in Bezug auf seine Kenntnisse kaum jemand das Wasser reichen. Somit konnten wir es in diesem Bereich qualitativ mit dem TV aufnehmen. Und wir hatten sehr gute Leute im Kulturressort. Das Feedback und die Anerkennung waren herausragend – hinter der Hand auch von Führungspersonen des TV. Auch wenn 16 VOR jahrelang im Blatt nicht erwähnt werden durfte.
Marcus: Natürlich gab es diesen Wettbewerb um die exklusive News, und es war ein klasse Gefühl, wenn wir tatsächlich die ersten waren. Aber es war mir immer klar, dass uns dies nur manchmal gelingen konnte. Ich denke, mindestens acht von zehn journalistischen Kolleginnen und Kollegen lasen 16 VOR, und mit fast allen verstand und verstehe ich mich bis heute gut. Offenbar war man aber vor allem an der Spitze des TV „not amused“ über unsere Existenz. Vom damaligen Chefredakteur ist der Satz überliefert: „Stölb und Jöricke schreiben keine Zeile mehr für den TV!“ Ob der Satz tatsächlich so gefallen ist, weiß ich nicht – gepasst hätte er zu diesem Mann; das Verhältnis zum TV entspannte sich mit einer neuen Chefredakteurin, und der leider viel zu früh verstorbene Leitende Redakteur, Dieter Lintz, war sogar ein bekennender Fan von 16 VOR. Das rechne ich ihm bis heute hoch an!
Gesetzt den Fall, wir schrieben heute den 18. März 2007, also den Tag vor dem Start – würdest du 16 VOR wieder machen?
Christian: Ja, es war nötig, gut und richtig. Angesichts der Entwicklung der hiesigen Medien in den vergangenen Jahren wäre es heute sogar noch wichtiger.
Marcus: Diese Frage ist hypothetisch. Was ich sagen kann: 16 VOR gemeinsam mit Christian zu gründen, war eine der besten Entscheidungen meines Lebens; vielleicht nur noch übertroffen von der, mich bei der Deutschen Journalistenschule in München zu bewerben, und vor allem jener, mit meiner wunderbaren Partnerin und ihren fantastischen Kindern sowie unserem Kater zusammenzuziehen!
Rückblickend betrachtet: Was würdet ihr heute anders machen mit dem Wissen, das ihr während der Jahre von 16 VOR sammeln konntet?
Marcus: Wir hätten jemanden mit ins Boot nehmen müssen, der den kaufmännischen Part übernimmt und 16 VOR auch wirtschaftlich zum Laufen bringt. Außerdem hätten wir von Beginn an unsere Berichterstattung auf Wochentage beschränken müssen – so waren wir über Jahre quasi sieben Tage die Woche aktiv. Das fiel mir anfangs nicht schwer, da Christian und ich für unser „Baby“ brannten. Aber mit der Zeit und dem Ausbleiben des wirtschaftlichen Erfolgs wurde es doch zum Problem. Idealismus hin oder her – irgendwann will man etwas für seine Arbeit bekommen. Was ich rückblickend auch bedauere – dass wir relativ spät mit unserem Förderverein 16 VORliebe starteten. Das hätte nach ein oder zwei Jahren passieren müssen, als sich viele unserer Leserinnen und Leser noch nicht daran gewöhnt hatten, dass wir gratis Qualitätsjournalismus lieferten.
Christian: Wie Marcus sagt, hätten wir gleich zu Beginn einen Anzeigenprofi benötigt. Wie wichtig das ist, merkte ich, als ich das Printmagazin herausgab. Mir fehlte die Zeit, vernünftig Akquise zu betreiben. Das hat mich sehr viel Geld gekostet.
Aus den Reihen eures damaligen 16 VOR-Teams haben heute einige journalistisch und literarisch großen Erfolg – etwa als Bestsellerautor oder Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, oder auch als Politikberater in Berlin. Welchen Anteil hatte 16 VOR daran?
Marcus: Natürlich macht es stolz zu sehen, dass der eine auf Lesereise durch die Republik tourt und die andere für die beste Tageszeitung Deutschlands schreibt. Aber ich würde unseren Anteil daran nicht überbewerten. Unser Beitrag bestand vor allem darin, diesen Talenten eine erste Möglichkeit zu geben, sich journalistisch zu versuchen und sie in ihrer Leidenschaft zu bestärken.
Christian: Was 16 VOR auszeichnete, war der hohe Anspruch. Vielleicht hat das den einen oder die andere geprägt. Wenn jemand das Talent zum Schreiben hat UND stets das Beste bieten möchte, kann man es auch weit schaffen.
Wenn 16 VOR heute noch wie damals existierte – welcher Artikel müsste aus eurer Sicht noch unbedingt geschrieben werden?
Christian: Ich bin nicht mehr ganz nah am Geschehen dran. Spontan würde ich mich wahrscheinlich der Entwicklung der Trierer Eintracht widmen.
Marcus: Ich würde noch einmal dem Fall Tanja Gräff aufgreifen. Für mich ist es bis heute unfassbar, dass die Ermittler die tote Studentin an dem Ort, an dem ihre sterblichen Überreste schließlich Jahre später aufgefunden wurden, nicht unmittelbar nach ihrem Verschwinden fanden. Was man den Eltern und Freunden von Tanja Gräff damit angetan hat, diese Jahre der Ungewissheit, ist ein Skandal. Ob es tatsächlich „nur“ ein Unglücksfall war und wirklich niemand Zeuge wurde, als Tanja in die Tiefe stürzte? Da habe ich nach wie vor meine Zweifel.