„Staatlich legalisierter Raub“
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 begannen auch in Trier die sogenannten Arisierungen: Trierer Bürgern jüdischen Glaubens wurden Geschäfte und Unternehmen weggenommen, und ihre „arischen“ Nachbarn bereicherten sich an diesen Vermögenswerten. Der ehemalige Präsident der Eintracht Trier, Bundesverdienstkreuzträger und Kaufmann Adolf Hägin war einer von denen, die von diesem staatlich legalisierten Raub profitierten. Die Historikerin Jutta Albrecht erforscht die Geschichte Hägins und anderer bekannter Trierer Unternehmer und beleuchtet ihre Rolle bei den „Arisierungen“ jüdischen Vermögens.
16 VOR: Frau Albrecht, sie forschen momentan an der Universität Trier zu „Arisierungen“ in Trier während der Nazizeit. Was genau ist darunter zu verstehen und wie liefen solche „Arisierungen“ ab?
Jutta Albrecht: Bei der „Arisierung“ gelangte jüdischer Besitz in sogenannte arische Hände – er wurde also seinen rechtmäßigen Eigentümern weggenommen und an „Volksgenossen“ gegeben. Von 1933 bis 1938 fanden auch in Trier die sogenannten freundschaftlichen Arisierungen statt. Jüdische Geschäftsinhaber wurden über Boykottmaßnahmen oder subtile Methoden wie Rohstoffkontingentierung zum Beispiel bei Romika gezwungen, ihren Betrieb „freiwillig“ zu veräußern. Dies geschah, indem sie ihren Betrieb und ihr Wohnhaus meist weit unter Wert verkauften und das Mobiliar in einer öffentlichen Versteigerungsaktion in einer ehemaligen Kaserne in St. Maximin für einen Appel und für ein Ei verschleudert wurde. Die Trierer wurden in dieser Zeit zu regelrechten „Schnäppchenjägern“.
Nach der Reichspogromnacht – vorbereitet durch entsprechende „legale“ Verordnungen, setzten dann die „Zwangsarisierungen“ ein: Jetzt wurden die Juden rigoros enteignet und hatten keinen Nutzen mehr von ihrem „Gewinn“, da ihnen die Ausreise aus dem Deutschen Reich – durch entsprechende Verordnungen – untersagt war und sie wenige Jahre nach der Enteignung (ab 1941) in eines der Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden.
16 VOR: Sie attestieren Teilen der Trierer Geschäftswelt eine hohe Sympathie für die neuen Machthaber nach 1933 und das gleich zu Beginn der Naziherrschaft. Können Sie einige Beispiele und Belege dafür nennen?
Albrecht: Bei der Sichtung der Trierer Zeitungen gleich zu Beginn der Machtübergabe an die Nationalsozialisten fiel mir auf, dass Teile der Trierer Geschäftsleute schon sehr früh im Trierer Nationalblatt inseriert haben. Und das, obwohl es ja den relativ liberalen Trierischen Volksfreund und die katholische Trierische Landeszeitung bis 1938 beziehungsweise bis 1943 – allerdings „gleichgeschaltet“- noch gegeben hat. So schalteten bereits im März 1933 – um zwei der auch heute noch sehr renommierten Modehäuser zu nennen – „Zur blauen Hand“ und „Dahm und Schädler“ ihre Anzeigen. Im Juli 1933 waren dies „Hochstetter“ und „Tack Schuhe“, die beispielsweise damit warben, dass man bei ihnen den „guten deutschen Schuh“ – im Gegensatz zum „jüdischen Schuh“ – kaufen könne.
Welch „Geistes Kind“ das Publikationsorgan der NSDAP war, kann auch den Inserenten nicht entgangen sein, waren doch in dieser Zeit schon antisemitische Artikel an der Tagesordnung.
16 VOR: Was „Arisierung” bedeutet, haben Sie bereits beispielhaft für das ehemalige Trierer Einheitspreisgeschäft „Erwege” erforscht. Wann und wie ist dieses Geschäft seinem jüdischen Besitzer – man muss das ja so formulieren – gestohlen worden und wer hat sich dann wie daran bereichert?
Albrecht: Ja, es war Diebstahl, der größte legalisierte Raub jüdischen Vermögens in der Menschheitsgeschichte. Wir wissen ja nicht erst seit Gurlitt, dass uns das schmutzige Geschäft mit der NS-Raubkunst bis heute beschäftigt.
ERWEGE war eine Einkaufsgenossenschaft von Einzelhändlern, die im Dezember 1921 als „Einkaufgenossenschaft Rheinisch-Westfälischer Geschäftshäuser (ERWEGE)“ gegründet wurde. Wie in vielen anderen Städten besaß sie auch in Trier ein Warenhaus. Es wurde 1931 gegründet und befand sich seit seiner Gründung in der Fleischstraße 62. Ab dem 27. September 1933 trug das Geschäftshaus einen trierspezifischen Namen „Kaufhaus Porta“. Seit dem 29. November 1933 wurde es von den beiden jüdischen Geschäftsführern Dr. Kurt C. Frank (Wiesbaden) und Hugo Schloß (Krefeld) betrieben. Dr. Franks Vater, Max Frank, war von Geburt Trierer.
Das Warenhaus war im August 1933 massivster Behinderung seitens ziviler Posten ausgesetzt, welche die Kundschaft behinderten. Proteste der Geschäftsführung beim Oberbürgermeister, der ab Oktober 1933 der NSDAP angehörte, und beim Regierungspräsidenten – dies war bis 1936, bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand, Dr. Konrad Saassen – fruchteten nichts. Am 16. November 1935 um 8.30 Uhr eröffnete Adolf Hägin die „Porta“ Frank Schloß G.m.b.H. Er warb somit bei der Eröffnung des „arisierten“ Geschäfts bewusst mit dem Namen der renommierten jüdischen Geschäftsführer.
16 VOR: Hat Adolf Hägin sich auch ausserhalb Triers an “Arisierungen” bereichert?
Albrecht: Ja, auch außerhalb von Trier war Hägin bei der „Arisierung“ jüdischer Betriebe tätig: Am 21. November 1938 sandte die Handelskammer in Flensburg ein Schreiben an die IHK Trier mit der Bitte um Auskunft, ob Hägin – der in Flensburg einen „Antrag auf Genehmigung zur Übernahme eines bisher jüdischen Kleinpreisgeschäftes“ gestellt hatte – „über die erforderliche Sachkunde zum Betrieb eines solchen Geschäftes verfügt“, ob er über genügend finanzielle Mittel verfüge und „welchen geschäftlichen Ruf er genießt“. In der von der IHK Trier am 24. November 1938 erteilten Unbedenklichkeitserklärung heißt es, dass Hägin „als tüchtiger Kaufmann“ gilt, und dass „Nachteiliges […] nicht über ihn bekannt [ist]“. 1939 „arisierte“ Hägin den Betrieb in Flensburg.
16 VOR: Adolf Hägin ist 1970 auf Betreiben der IHK Trier das Bundesverdienstkreuz verliehen worden, er war auch im gesellschaftlichen Leben der Stadt eine feste Größe – so war er beispielsweise Präsident von Eintracht Trier. Interessierte sich niemand dafür, auf welcher Grundlage sein Reichtum stand?
Albrecht: Ob sich niemand dafür interessierte, kann ich nicht beantworten. Ich weiß nur aufgrund meiner Forschungen, dass beispielsweise noch 1987 in dem vom Spee Buchverlag herausgegebenem Buch „Trier. Stadtbild im Wandel seit 1900“ folgendes vom Autor Emil Zenz (ehemaliger Bürgermeister der Stadt Trier, Historiker, Geschichtslehrer) geschrieben wurde: „Vor dem letzten Krieg schloß sich unmittelbar an die Post das Schuhhaus Kempe an an. Daneben stand ein viergestöckiges spätgotisches Haus (…). 1933 richtete der Kaufmann Hägin im Parterre ein Einheitspreisgeschäft ein (…).“ 42 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges hätte man wissen müssen, dass dies nicht stimmt.
Ich gehe vor allem nach dem Studium der einschlägigen Trierer Zeitungen nach 1945 davon aus, dass man der Herkunft des Reichtums von Adolf Hägin nicht auf den Grund gehen wollte. Zu viele Trierer Geschäftsleute hatten ja schließlich – wie Hägin – ab 1933 eine hohe Affinität für den Nationalsozialismus entwickelt, dafür spricht ja, wie bereits erwähnt, die Tatsache, dass sie bereitwillig kurz nach der Machtübertragung im NSDAP-Parteiorgan Trierer Nationalblatt ihre Anzeigen schalteten.
16 VOR: Wie sind die Reaktionen auf Ihre bisherigen Forschungsarbeiten? Gibt es noch viele, die sich „ihren“ Hägin nicht „kaputtforschen“ lassen wollen? Oder ist das Nichtwahrhabenwollen heute kein Thema mehr?
Albrecht: Hier fällt die Antwort ambivalent aus: Mehrheitlich sind die Trierer und Triererinnen – und nicht nur die jüngere Generation – daran interessiert, dass die Geschichte der „Arisierungen“ in Trier akribisch aufgearbeitet werden muss. Das erfahre ich immer nach meinen Vorträgen. Anders sieht die Begeisterung natürlich bei den Tätern von damals, ihren Nachfahren oder aber bei Freunden von ehemaligen Tätern aus.
Menschlich habe ich Verständnis für diese Reaktion. Man hat 75 Jahre lang eine hehre Meinung von einer Person, die vielleicht Vorbildcharakter hatte, und erfährt dann im Falle von Hägin, dass er sich auf moralisch verwerfliche Art und Weise am Eigentum jüdischer Mitbürger bereichert hat, dass er diese Tat nach 1945 geschickt zu vertuschen wusste, sich dem Entnazifizierungsverfahren entzogen hatte und bis zu meinen Forschungen in der Geschichte der Stadt Trier einen ehrenwerten Platz einnahm – als Präsident der Eintracht Trier, als Vorstandsmitglied des Roten Kreuzes, als Konsul von Brasilien, an dessen runden Geburtstagen sich die Vertreter der Behörden, der IHK, des EHV, der Polizei, des Finanzamtes, der Banken und der evangelischen Kirche (Hägin war Protestant) die Klinke in die Hand drückten.
Jutta Albrecht hat Geschichte und Französisch auf Lehramt studiert und promoviert momentan im Fach Geschichte an der Universität Trier. Sie forscht zu „Arisierungen in Trier“. Ihr nächster Vortrag zu diesem Thema findet am 26. April 2015 im Stadtmuseum Simeonstift statt.