„Streit ist nicht der Untergang des Abendlandes“

Foto: Michael Herdlein
Foto: Michael Herdlein

Der „Spiegel“-Kolumnist und Bundesrichter a. D. Professor Dr. Thomas Fischer spricht im 16 VOR-Interview über Meinungsfreiheit, politische Kultur und den „biodeutschen Obergutmenschen“ Björn Höcke. Um diese Themen geht es auch in seinem Vortrag am Samstag um 20 Uhr in der Tufa.

16 VOR: Herr Fischer, Sie sind vor allem durch ihre Kolumne „Fischer im Recht“ in der „Zeit“ einem breiteren Publikum bekannt geworden. „Fischer im Recht“ hat für die interessierte Leserschaft oft überraschende Einblicke in das Strafrecht geliefert. In Ihrer neuen Kolumne für „Meedia“ betätigen Sie sich nun als Medienkritiker. Wie kam es zu diesem Themenwechsel?

Thomas Fischer: Ich möchte das ein wenig korrigieren: Ich schreibe nicht nur für „Meedia“, sondern auch für „Spiegel online“ und dort ebenfalls eine zweiwöchige Kolumne, die an die Tradition der „Zeit“-Kolumne anknüpft. Die „Meedia“-Kolumne „Fischers kleine Presseschau“ beschäftigt sich vor allem mit dem, wofür „Meedia“ als Branchendienst steht: mit den Medien. Ich versuche hier, einen Blick aus juristischer Perspektive auf das Feld zu werfen.

16 VOR: Sie haben die Zusammenarbeit mit der „Zeit“ beendet, weil sie eine Ihrer Kolumnen nicht drucken wollte. Die Wochenzeitung hatte über Vorwürfe gegen den Regisseur Dieter Wedel berichtet, und Sie wiederum haben ihr eine Vorverurteilung des Mannes vorgeworfen. Sie haben Ihren Text daraufhin „Meedia“ angeboten – war das die Geburtsstunde des Thomas Fischer als Medienkritiker?

Fischer: Nein, das hat damit eigentlich wenig zu tun. Zunächst: Ich habe die Mitarbeit bei der „Zeit“ nicht beendet. Beendet hatte ich im Frühjahr 2017 die Kolumne „Fischer im Recht“, weil ich nach zweieinhalb Jahren wöchentlicher Kolumne den Eindruck hatte, es sei genug. Ich habe dann aber weiter für die gedruckte Ausgabe und „Zeit Online“ geschrieben. Die Zusammenarbeit ist im Januar 2018 von der „Zeit“ wort- und erklärungslos aufgekündigt worden, weil ich die Redaktion wegen ihrer Berichterstattung über den „Fall Wedel“ kritisiert habe. Ich hatte einen Text über diese Berichterstattung der „Zeit“ angeboten, den sie nicht drucken wollte. Das ist ihr gutes Recht! Aber natürlich ist es auch mein gutes Recht, diesen Text dann einem anderen Medium anzubieten. Ich bin ja freier Schriftsteller und nicht Angestellter des Verlags. Das hat die „Zeit“ als eine Art „Verrat“ angesehen und nicht akzeptiert.

Ich fand, dass die Artikelserie der „Zeit“ zum „Fall Wedel“ über die Grenzen der Verdachtsberichterstattung deutlich hinausgegangen ist, von eifernder Verfolgungsanmaßung und unangemessener Vorverurteilung durchzogen war. Das sieht die „Zeit“ natürlich anders. Sie ist für ihre „Wedel“-Serie später mit einem Preis für angeblich „beispielhafte Verdachtsberichterstattung“ geehrt worden … nun ja – Schnee von gestern!

16 VOR: Warum dann ausgerechnet Medienkritik?

Fischer: Die Beschäftigung mit Pressemedien halte ich für extrem wichtig. Die Presse ist die einzige Möglichkeit, wie sich Menschen über Vorgänge in der Gesellschaft informieren können – insbesondere auch über rechtliche Vorgänge, Fragen und Probleme. Die Information über und Diskussion von rechtlichen und rechtspolitischen Themen ist von außerordentlicher Bedeutung. Sie findet nach meinem Dafürhalten nicht immer in der gebotenen Tiefe und Ernsthaftigkeit statt. Ich möchte mit meinen Mitteln und Möglichkeiten einen Beitrag leisten.

Die, die ,Lügenpresse‘ schreien, halten alles, was nicht ihren Vorurteilen entspricht, für ,gelogen‘.“

16 VOR: Also eine qualifizierte Medienkritik als Gegengift zur Medienkritik von der Straße, die sich unter dem Stichwort „Lügenpresse“ äußert?

Fischer: Diese Art von Medienkritik ist überwiegend schlichter Unsinn. Sie ist pauschal, inhaltlich falsch und in der Zielrichtung völlig unklar. Mit „Lüge“ ist da ja meist gar nicht eine bestimmte Unwahrheit gemeint, sondern nur eine andere Ansicht: Die, die „Lügenpresse“ schreien, halten alles, was nicht ihren Vorurteilen entspricht, für „gelogen“ – das ist natürlich abwegig. Dem zu widersprechen ist schwierig. Menschen, die fest entschlossen sind, an Verschwörungen zu glauben, und denken, alles werde von einer „Systempresse“ und diese von „den Systemparteien“ kontrolliert, die kann man kaum überzeugen. Insofern soll das, was ich schreibe, tatsächlich ein Gegenmodell sein. Es interessiert mich allerdings nicht im Detail, welche Gruppe da jetzt wieder über was und warum „Lügenpresse“ schreit. Ich meine, dass die professionelle Presse die Aufgabe hat, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen und die Menschen sachlich und in guter Qualität zu unterrichten. Man muss nicht endlos mit Leuten diskutieren, die gar nicht argumentieren, sondern nur ihren angeblichen Feinden das Maul stopfen wollen.

Im Bereich der Presse-Berichterstattung über rechtliche Fragen gibt es viele sehr gute Beispiele, aber durchaus auch einiges zu verbessern und gelegentlich zu kritisieren: Im Gegensatz zur Berichterstattung über andere Wissensgebiete und Lebensbereiche ist für die Berichterstattung über Rechtliches nach Ansicht vieler Redaktionen oft keine besondere Qualifikation erforderlich. Das täuscht.

16 VOR: In ihrem Vortrag in Trier wird es um das Thema „Strafrecht und politische Kultur“ gehen.
Nun steht es um die politische Kultur in Deutschland momentan nicht zum Besten: In Chemnitz ist die größte Oppositionspartei des Landes zusammen mit Pegida und anderen Rechtsradikalen marschiert, und das liberale Bürgertum schickt statt dem Staatsanwalt die „Toten Hosen“. Muss man also mit Rechten reden oder sind nationale Sozialisten wie Höcke, Poggenburg und Co. ein Fall für Verfassungsschutz und Polizei?

Fischer: Sowohl als auch. Man muss mit jedem reden, mit dem noch zu reden ist – mit Gewalttätern geht das oft nicht mehr. Wir neigen allerdings im Moment dazu, das alles wie den Anfang vom Untergang des Abendlandes zu betrachten. So wird etwa der Begriff der „Spaltung“ in der Presse inflationär gebraucht: Die Gesellschaft ist gespalten, die Meinungen sind gespalten und so weiter, und „Streit“ erscheint wie das Gegenteil demokratischer Kultur. Man muss sich aber fragen, ob das alles so neu ist und ob die „Spaltung“ immer so furchtbar ist. Ich erinnere mich an viele, sehr intensive politische Debatten und Streite in den letzten Jahrzehnten, zum Beispiel die Ostverträge, die Debatte um die Atomindustrie, den Streit um die sogenannte Nachrüstung. Auch da wurde äußerst kontrovers diskutiert. Das ist ja an sich nichts Schlechtes. Wenn sich zwei Meinungen diametral gegenüberstehen, geht noch nicht das Projekt der Moderne dem Ende entgegen. Bedenklich und gefährlich sind aber Tendenzen, die auf eine gewaltsame Unterdrückung kontroverser Diskussion insgesamt abzielen. In dem völkischen Staat, den Höcke, Gauland und Bachmann anstreben, hätten die sprichwörtlich „besorgten Bürger“, die heute noch klatschend dastehen, wenn es Fremden an den Kragen geht, nichts mehr zu lachen und zu melden.

„‚Soziale Netzwerke‘ steuern Emotions- und Empörungswellen und manipulieren in erheblichem Maß die öffentliche Kommunikation.“

16 VOR: Soziale Medien spielen bei der Verbreitung von Hass, von Verschwörungstheorien und von „Fake News“ eine wichtige Rolle. Mit dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ gab es den Versuch, das rechtlich einzuhegen. Ist das ein vernünftiges Instrument? Kann man überhaupt international agierende Plattformen mit einer nationalen Gesetzgebung in den Griff bekommen?

Fischer: Der Begriff „soziales Netzwerk“ ist ja eigentlich ein merkwürdiger Euphemismus: das Wort „sozial“ erscheint einem hier ja schon eher satirisch. Allerdings hat sich die gesellschaftliche Kommunikation natürlich in den letzten zwei Jahrzehnten extrem gewandelt. Diesen Wandel kann man fast nur mit den Folgen der Erfindung des Buchdrucks vergleichen. Welche Strukturen da nun neu entstehen, kann man noch gar nicht wirklich abschätzen. Ich für meinen Teil halte von den „sozialen Medien“ gar nichts und nutze sie nicht. Das permanente Geschwätz aller über sich selbst ist mir ein Gräuel. Aber für viele Menschen sind diese Medien eine wichtige, oft sogar die wichtigste Informationsquelle geworden. Sie steuern Emotions- und Empörungswellen und manipulieren in erheblichem Maß die öffentliche Kommunikation.

16 VOR: Sehen Sie denn juristischen Handlungsbedarf in Bezug auf die „sozialen Medien“?

Fischer: Das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ ist ja umstritten. Zum einen weil man damit angeblich Zensur ausübe – eine Behauptung, die ich für nicht sehr überzeugend halte. Straftaten müssen auch im Internet verfolgt und sanktioniert werden. Zum anderen ist das Gesetz in der Kritik, weil es die Verantwortung für Sanktionen in den privaten Bereich verschiebt. Diese Verschiebung halte ich für nicht angemessen. Aus Sicht des Staates mag es einfach sein, privaten Unternehmen die Bewertungen und Löschungen von Inhalten aufzubürden. Ich denke aber, dass das die Aufgabe des Staates ist. Das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ ist ein Anfang, von einer überzeugenden Lösung sind wir aber weit entfernt.

16 VOR: In ihrem Vortag wird es auch um das Thema Meinungsfreiheit gehen. In letzter Zeit kommt da immer wieder die Behauptung auf, die „Political Correctness“ würde die Meinungsfreiheit beschneiden und „Meinungskorridore“ vorgeben. Auf der anderen Seite steht die Analyse, dass der Begriff „Political Correctness“ vor allem als Kampfbegriff gebraucht wird, um ein Mindestmaß an zivilisatorischem Anstand in einer öffentlichen Debatte zu denunzieren. Wie sehen Sie das?

Fischer: Der Begriff ist mittlerweile ausgeufert und hat keine vernünftige kommunikative Funktion mehr. Man kann ihn zur Beschreibung von etwas Positiven ebenso benutzen wie zur Beschreibung einer albernen Moralindurchtränktheit. Ein bisschen so, wie der Begriff des „Gutmenschen“, der ursprünglich ironisch, aber nicht dezidiert abwertend gegen besonders moral-geprägt argumentierende Menschen gerichtet war. Inzwischen wird der Begriff jedem entgegengebrüllt, der versucht, etwas Vernünftiges zu sagen. „Gutmensch“ zu sein, gilt den Freunden des Draufschlagens und Durchgreifens als Inbegriff lächerlicher Lebensfremdheit. Aber natürlich nur, solange sie selbst die Maßstäbe bestimmen. Am nächsten Tag marschiert Herr Höcke dann mit weißer Nelke und Kerzlein durch Chemnitz und spielt den biodeutschen Obergutmenschen.

Es gibt in der öffentlichen Kommunikation keine vorgegebenen Sprachwege oder „Meinungskorridore“. Aber natürlich gibt es politische Versuche, Kommunikation zu lenken und in eine bestimmte Richtung zu verschieben. Denken Sie nur an den Begriff „DDR“, der früher in Westdeutschland verpönt war. Man musste bis in die 70er Jahre immer „sogenannte DDR“ sagen, um sich nicht verdächtig zu machen. Und wenn man „BRD“ sagte, dann wurde einem vorgehalten, das sei ein „kommunistisches Kürzel“. Diese ideologischen, sprachlichen Scheuklappen gab es also schon immer – in unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen und Gruppen. Sprachkontrolle dient dazu, Freunde und Feinde schematisch zu unterscheiden. Die Tendenz hat sich unter dem Einfluss der amerikanischen Medienkultur verstärkt. Aber ein Teil des albernen Zustands besteht eben auch darin, dass jeder sich zu beliebiger Zeit zum Opfer einer angeblichen Beschränkung seiner Meinungsfreiheit erklärt und daraus die Forderung ableitet, die jeweils anderen sollten am Reden gehindert werden.

Wir haben eine rechtlich halbwegs abgesicherte Sprachkultur: Man darf nicht verleumden, man darf nicht übel nachreden, man darf nicht beleidigen, man darf nicht volksverhetzen und nicht zu Straftaten aufrufen – das sollte eigentlich ausreichen. Eine Verpflichtung, in jedem Satz stets durch Verwendung von Codewörtern ein möglichst lobenswertes gesellschaftspolitisches Programm zu präsentieren, erscheint mir etwas hysterisch.

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