Ein glückliches Volk dank Superhelden
Unglücklich ein Volk, das Helden braucht!“ schreibt Brecht in seinem kirchenkritischen Stück „Leben des Galilei“. Müssen wir uns das Volk der Luxemburger also als ein unglückliches vorstellen? Schließlich gibt es immer noch einen unerschütterlichen luxemburgischen Superhelden, der das Großherzogtum mit schöner Regelmäßigkeit und seit mittlerweile einem Vierteljahrhundert vor dem Untergang oder zumindest vor dem „Krisenriis“¹ bewahren muss. Nein, Jean-Claude Juncker ist hier ausnahmsweise nicht gemeint. Der gesuchte Superheld ernährt sich nämlich fast ausschließlich von „Kachkéis“ und „Uelzecht“-Bier – und auf diese Idee käme Juncker bei aller zur Schau getragenen Bodenständigkeit dann auch wieder nicht.
Unser Superheld hat sich mit dieser sehr speziellen Diät einen schönen Wohlstandsbauch und eine bemerkenswert rote Knollennase unter der eine fusselige Schnodderbremse prangt zugelegt. Eine Beschreibung, die so ungefähr auch auf Jean Asselborn zutrifft. Allerdings ist der gesuchte Superheld – anders als Asselborn – noch nie auf einem Rennrad gesichtet worden, und er wird auch nicht in eher unschöner Regelmäßigkeit von der Zeitschriftensimulation Focus Money unsachlich angerempelt. Er existiert eigentlich nur in einem Paralleluniversum namens Luxusbuerg, arbeitet dort brav – wie es sich für einen echten Luxusbuerger gehört – als Staatsbeamter und verwandelt sich, wenn Not am Mann ist, in einen etwas aus dem Leim gegangenen fliegenden Supermanverschnitt mit rotem Cape und karierter Schiebermütze, der Luxusbuerg vor allen Gefahren bewahrt und am Ende jedes Abenteuers wieder brav an seinen Arbeitsplatz im „Ministère fir ongeléiste Problemer“² zurückkehrt. Dort leitet er den „Service von den hoffnungslose Fäll“³ – eine Abteilung, die es vermutlich auch in der real-existierenden Luxemburger Familienkasse gibt, und die ihm genügend Freizeit lässt, um auf Verbrecherjagd in Luxusbuerg zu gehen. Die Rede ist vom „Superjhemp“, dem luxemburgischen Superhelden, dessen neuestes Abenteuer kürzlich als 31. (und vielleicht letzter) Band einer erfolgreichen Comicreihe erschienen ist.
„De Superjhemp“ ist aber viel mehr als nur ein Comic-Superheld. Er karikiert und beschreibt den luxemburgischen Politbetrieb und die luxemburgischen Befindlichkeiten so genau, dass die Lektüre der gesammelten „Superjhemp“-Alben eigentlich zur Voraussetzung für die Übernahme der luxemburgischen Staatsbürgerschaft werden und man an der Uni über die Einrichtung einer eigenen „Superjhempistik“ nachdenken sollte. „De Superjhemp“ ist damit eins der wenigen genuin satirischen Formate auf dem luxemburgischen Zeitungs- und Büchermarkt.
Die (parteigebundene) Tagespresse hält sich mit Satire auffällig zurück und hat diese in ein bemerkenswert unansehnlich gelayoutetes Wochenblättchen ausgelagert. Eine Beschreibung, die zunächst vor allem auf das Boulevardblatt Lëtzebuerg privat zutrifft – dort ist die Satire allerdings eher unfreiwilliger Natur. Nur in Lëtzebuerg Privat erfährt man schließlich all das über Luxemburgs Politprominenz, was man noch nie hatte wissen wollen („Luc Frieden ganz intim: der Minister rettete ein Kalb“, „François Bausch hat Herpes“, „Junckers Geburt dauerte 18 Stunden“) und nur Lëtzebuerg Privat bringt exklusiv bizarr-sinnfreie Reportagen („,Privat‘-Reporter mit dem Todes-Häcksler unterwegs“).
Tatsächlich heißt Luxemburgs satirisches Wochenblatt aber De Feierkrop („Der Schürhaken“) und ist kürzlich zum 1000. Mal erschienen. Der Feierkrop ist so etwas wie der Knüppel-aus-dem-Sack unter den Satireblättern. Mit dem rhetorischen Florett wird dort selten gefochten, der Humor kommt eher mit einer Bud-Spencer-haften Feinfühligkeit daher, und das drittälteste Gewerbe der Welt – Namenswitze – wird im Feierkrop in allen Ehren und ziemlich hochgehalten: „Jean-Claude Fluncker“, „Marc Bautz“ und „Jean Quasselborn“ heißen dort die politischen Protagonisten.
Hervorgegangen ist der Feierkrop 1993 aus einer Satireseite der kommunistischen Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek, deren Macher Jacques Drescher zusammen mit anderen den Feierkrop gründete und in dem er unter Pseudonymen wie „Yeti“ oder „Mulles Mubautz“ publiziert und den luxemburgischen Politbetrieb durch den Kakao zieht. Zum luxemburgischen Helden ist Drescher damit noch nicht avanciert, aber immerhin hält er die gute aufklärerische Tradition der satirischen „Nestbeschmutzung“ hoch, die in Luxemburg mit Michel Rodanges Epos „Renert oder de Fuus am Frack an a Maansgréisst“ („Renert oder der Fuchs im Frack und in Mannesgröße“) 1872 ihren Anfang nahm. Auch Rodange kämpfte – wie Brechts Galiliei – mit seinem „Renert“ gegen die Macht der Kirche, setzte ihr aber nicht die Ohnmacht des Einzelnen, sondern die Bauernschläue des (luxemburgischen) Fuchses entgegen. Rodange und sein Fuchs sind zwar erst mit dem Machtverlust der Kirche, posthum und damit reichlich spät zu Nationalhelden geworden. Ein Volk jedoch, das den „Renert“ und den „Superjhemp“ als Helden verehrt, das darf man sich getrost als ein glückliches vorstellen.
¹ Krisenriese
² Ministerium für ungelöste Probleme
³ Abteilung für die hoffnungslosen Fälle