Wohnen in Luxemburg, fernsehen in Belgien

Eigentlich müsste Jean-Claude Juncker – so verlangen es zumindest die EU-Statuten – seinen Wohnsitz nach Brüssel verlegen. Der EU-Kommissionspräsident hat sich jedoch lediglich in ein Brüsseler Hotel eingemietet und wohnt nach wie vor weiter in Capellen südlich von Luxemburg-Stadt.

Die 51.000 Euro Umzugszulage hat er – wie das Luxemburger Wort berichtet – allerdings trotzdem kassiert. Für diesen Betrag hätte man Juncker eigentlich eine eigene Oktav-Wallfahrt zur „Muttergottes mit schlafenden Kind“ in die Brüsseler Skt. Nikolaus Kirche organisieren können – anschließenden Wein-, Tabak- und Möbeltransport ins neue Heim inklusive. Vielleicht aber ist das Haus in Capellen noch nicht ganz abbezahlt und Juncker hat die Umzugsbeihilfe einfach anderweitig investieren müssen. Schließlich sind in Capellen die Wohnungs- und Grundstückspreise in den letzten Jahren – wie in ganz Luxemburg – in schwindelerregende Höhen gestiegen.

Der Quadratmeter für eine Wohnung in Luxemburg kostet momentan im Durchschnitt etwa 4700 Euro, die Immobilienpreise im Zentrum des Landes liegen noch weit darüber und können sich durchaus mit denen in europäischen Metropolen wie London oder Paris messen. Kein Wunder also, dass die Wohnsituation seit geraumer Zeit Anlass für hitzige Diskussionen im Ländchen liefert. Während die Immobilienbesitzer quasi über Nacht und ohne etwas dafür tun zu müssen immer reicher werden, fällt es Luxemburgern, die die großherzogliche Fruchtfolge „Grünland, Ackerland, Bauland“ nicht mitmachen konnten, zunehmend schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Und so pendeln nicht nur Deutsche, Belgier und Franzosen jeden Tag zur Arbeit ins Großherzogtum, sondern auch gut 5000 Luxemburger, die vor den horrenden Wohnkosten auf die andere Seite der Mosel geflüchtet sind.

Entsprechend groß ist der Druck, der auf der luxemburgischen Wohnungsbau- und Kulturministerin Maggy Nagel lastet, oder vielmehr: lastete. Denn seit nunmehr einem Monat steht die bislang eher glücklos agierende Nagel de facto als Wohnungsbauministerin auf dem Abstellgleis. Marc Hansen – eigentlich Staatssekretär im Hochschul- und Bildungsministerium – wurde ihr „an die Seite“ gestellt. Tatsächlich hat er das Ministerium mehr oder weniger übernommen. Ein Hinweis darauf, wie ernst die neue Regierung das Wohnungsproblem nimmt und wie wenig sie ihrer eigenen Ministerin in dieser Hinsicht noch zutraut.

Der aufgeheizte luxemburgische Wohnungsmarkt wärmt natürlich auch die deutsche Seite. Die gut 30.000 Grenzpendler in der Region um Trier sorgen auch hier für steigende Immobilienpreise. In Trier kostet eine Wohnung derzeit im Schnitt etwa 2700 Euro pro Quadratmeter, in bei Pendlern beliebten Gegenden wie Feyen oder Weismark liegt der Quadratmeterpreis etliche hundert Euro darüber. Und so werden dann für aufgehübschte ehemalige Kasernenwohnungen ohne Garten Preise abgerufen, für die man in der Nordeifel ganze Straßenzüge aufkaufen könnte. Und Einfamilienreihenhäuser werden vornehmlich auf einer möglichst kleinen Grundfläche geplant, wachsen dann entsprechend in die Höhe und bestehen deshalb vor allem aus Treppe. Das hält fit, rechtfertigt aber schwerlich den Kaufpreis von einer halben Million Euro. Zumal sich die neuen Häuser rund um „Castelnau“ architektonisch eher von der schlichten Seite zeigen: graue Quadrate, die mehr nach Baumarkt als nach Bauhaus aussehen. Manch Trierer hofft deshalb ein wenig gehässig auf den „großen Knall“ in der luxemburgischen Bankenbranche, auf dass sich der trierische Wohnungsmarkt wieder entspanne.

Vielleicht würden die Wohnungen in Trier während einer Krise in Luxemburg tatsächlich günstiger – ob sie dann aber noch jemand haben wollte, wäre eine ganz andere Frage. Den Wohnsitz dauerhaft im Hotel aufzuschlagen, scheint allerdings auch keine wirkliche Alternative zu sein. Jean-Claude Juncker jedenfalls geht das Hotelleben dem Vernehmen nach schon ein wenig auf den Wecker: Er habe sich beschwert, dass man auf dem hauseigenen Fernseher nur „Euronews“ empfangen könne, kolportiert ein Sprecher der Kommission. Kein Wunder also, dass Juncker am Freitagabend möglichst schnell wieder nach Capellen will: Er flüchtet einfach nur vor einem miesen Fernsehabend in Belgien.

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